ZUKUNFT
Auch in der Gegenwart gibt es Utopien – entgegen der These vom Ende der Geschichte, die die Welt als post-ideologisch und post-utopisch beschreibt. Diese Utopien kommen freilich weniger aus der Religion oder der Politik, sondern von Technik-Nerds im Silicon Valley. Ray Kurzweil, »Director of Engineering« bei Google, prophezeit, durch Nanoroboter und künstliche Intelligenz werde der Mensch endlich über sich selbst hinausgelangen. Wenn durch Künstliche Reproduktion des Gehirns das menschliche Bewusstsein digitalisiert und upgeloadet und durch winzige Nanoroboter Materie manipuliert werden kann, dann sind die Grenzen zwischen Mensch und Nicht-Mensch – zwischen Mensch, Maschine und Natur – offen. Hier in Heidelberg forscht das Human Brain Project an der künstlichen Nachbildung neuronaler Prozesse, um das menschliche Gehirn zu simulieren.
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Ob diese Entwicklungen im Dienste einer utopischen Zukunft stehen, ist nicht vorab entschieden, sondern es kommt darauf an, ob wir in der Lage sind, sie als Teil einer Utopie zu begreifen. Aktualisiert die Vorstellung der Menschheit als frei fluktuierende Cloud nicht die radikalbürgerliche Vorstellung der Gesellschaft als bewusstes und rationales Gesamtsubjekt, wie sie die Französische Revolution, Rousseau, Kant, Schiller, Hegel oder Wagner vertreten haben? Hat nicht Ray Kurzweils »Singularity« bezeichnende Ähnlichkeit mit dem Erlösergott? Jede Revolution hat sich rückwärts orientiert – Lenin ging es um die »von alters her bekannten und seit Jahrtausenden in allen Vorschriften gepredigten Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens«, Jesus ist nicht angetreten, um das »Gesetz oder die Propheten aufzulösen…, sondern zu erfüllen«, Luthers Revolution speiste sich aus dem Rückbezug auf den Urtext und Marx formulierte an den bürgerlichen Revolutionär Arnold Ruge, »dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein« erlangen muss. Wir übersehen leicht das »Re« der Revolution. Und steckt nicht in den technischen Utopien der Gegenwart der Traum der Brüder Castor und Pollux, für immer beieinander sein zu können, sich nicht trennen und nicht sterben zu müssen? Gibt es nicht eine Verbindung zwischen Rameaus »Fête de l’Univers« und dem Traum der Naturhistorikerin und Autorin des »Cyborg manifesto« und »Companion species manifesto« Donna Haraway, als Menschen und nicht-Menschen, Maschinen, Pflanzen, verschiedene Spezies und Planeten einen gemeinsamen Raum zu teilen, »die Verwischung dieser Grenzen zu genießen und Verantwortung bei ihrer Konstruktion zu übernehmen«? »Castor&&Pollux« erschafft eine transmediale Gleichzeitigkeit (con-temporary), die von alten und neuen Träumen gemeinsam bewohnt wird, in der die Vergangenheit in der Zukunft und die Zukunft in der Vergangenheit aufgehoben ist.