Kulturen, die zusammenwirken
Dass die Klassik diverser werden müsse, darüber besteht heute vielerorts Einigkeit. Doch wie sollen musikalische Kulturen einander begegnen? Ausgewählte Konzerte des Musikfestivals 2023 näherten sich solchen Fragen von sehr unterschiedlichen Seiten.
Ein gemeinsamer Anspruch verband sie: Wenn sich Individuen oder Ensembles auf fremdes Kulturland begeben oder mit Kolleginnen und Kollegen anderer Ethnien zusammenarbeiten, tun sie dies nicht aus einer touristischen Neugier heraus, sondern auf Basis gründlichen historischen Wissens.
György Ligeti, der vor hundert Jahren geborene Ungar, war ein Virtuose der Aneignung denkbar entlegener rhythmischer und harmonischer Modelle aus Regionen wie dem Balkan, Südamerika oder Afrika. Sein strenges Strukturdenken bewahrte ihn dabei vor vordergründigen Folklorismen: Nicht an Effekten oder aparten Farbakzenten war Ligeti interessiert, sondern an möglichst reichen Quellen echter Komplexität. Mit „Ligeti 100“ wardem Komponisten zu seinem 100. Geburtstag ein Schwerpunkt gewidmet.
Abel Selaocoe, der aus Südafrika stammende Cellist, Sänger, Musikerfinder und begnadeter Kommunikator, wagt die grenzenlose Fusion. Mit großer Selbstverständlichkeit bewegt er sich zwischen Klassik und afrikanischer Musik. In Manchester hat er ein Kollektiv inspirierter Individuen unterschiedlichster Sozialisation um sich geschart. In ihrem Konzert entstand eine Musik voller unerwarteter Resonanzen und Pulse.
Apollo’s Fire, die großartige Alte-Musik-Formation aus Cleveland, begab sich mit ihrem Konzert auf eine Reise von Jerusalem über Italien nach Afrika und machte dabei die Erfahrungen von Diaspora, Vertreibung und Exil zum Thema.
Den umgekehrten Weg beschritt die Franui Musicbanda aus Osttirol mit ihrem Programm “Strg F Volksmusik”: Die musikalischen Handschriften der zentraleuropäischen Meister Johannes Brahms, Anton Bruckner, Béla Bartók und anderer wurden auf ihre ruralen Quellen – in der Kneipe, im Freudenhaus oder bei den Bauern auf dem Dorf – hin untersucht.
Eine nicht weniger raffinierte Form transkultureller Annäherung hat schließlich der Pianist Markus Becker perfektioniert. Der Spezialist für Komponisten wie Joseph Haydn oder Max Reger ist ein außergewöhnlich inspirierter Jazz-Improvisator. Mit leichter Hand zieht er dabei neben eigenen Ideen immer wieder auch Motive von Ludwig van Beethoven und andere Meister der Klassik in den Sog swingender Assoziationen.